Jugendarbeit in der Pandemie
Wohl jeden von uns nervt die gefühlt nicht endende Pandemie. Aber wie geht es den Kindern und Jugendlichen in dieser Situation. Um hierüber etwas in Erfahrung zu bringen, sprach ich gestern mit dem hauptamtlichen Jugendpfleger der Samtgemeinde Weser-Aue, Markus Sieling. Nachstehend der Inhalt des Gesprächs, das hoffentlich nicht nur dem Verfasser die Möglichkeit eröffnet, einen veränderten Blick auf die Sorgen und Nöte der Jüngeren unserer Gemeinschaft zu werfen.
Moin, Markus.
Die ersten Monate im neuen Jugendhaus hier in Liebenau sind um. Bist Du hier schon so richtig angekommen, hast Fuß gefasst?
Ja, Fuß gefasst habe ich. Auch wenn noch einiges zusammen mit den Jugendlichen vor uns liegt. Wie der weitere Ausbau des Kellers und die Umgestaltung des Außengeländes. Aber auch die Jugendlichen haben dazu noch Lust und freuen sich über die neuen Möglichkeiten in Liebenau.
Und Deine „Jungs un Deerns“ Gibt es da noch ein „Fremdeln“ oder wird die Einrichtung in seiner jetzigen Form angenommen?
Die Einrichtung wird in ihrer jetzigen Form bereits sehr gut frequentiert und angenommen. Auch wenn viele Jugendliche zunächst nur eine sehr ungenaue Vorstellung von Jugendpflege und Jugendhaus hatten. So ist es jetzt sehr stark verankert und immer mehr Jugendliche nutzen die Angebote und die Räumlichkeiten.
Zahlreiche Jugendliche haben sich ja beim Umbau aktiv beteiligt. Macht sich das in deren Verhalten hier vor Ort bemerkbar?
Das macht sich sehr deutlich bemerkbar. Wie der Umstand, dass nur selten Müll auf dem Gelände liegt, sie selbst sich an der Reinigung beteiligen, Verschmutzungen wie Hakenkreuze am Gartentor entfernen und sich viel stärker mit dem Ort identifizieren und ihn schätzen. Genauso ist auch der Umgang mit den Einrichtungsgegenständen umsichtig und wertschätzend.
Stichwort Corona. Die zahlreichen Beschränkungen in der Pandemie gehen uns allen ja mehr oder minder an die Nerven. Die Stimmung in der Bevölkerung wird gefühlt immer angespannter, gereizter in Teilen auch aggressiver. Ist das auch hier zu beobachten oder gehen die Kinder und Jugendlichen hier vor Ort gelassener oder entspannter mit der Situation um?
Die Pandemie bedingten Beschränkungen sind für die Jugendlichen schon sehr einschneidend und bedrückend. Für viele fallen wichtige „Erste Male“ weg, wie die erste Abschlussfeier, das regelmäßige und offene Treffen mit der „ersten Liebe“, die ersten Partys mit Freunden, der erste Urlaub ohne Eltern und viele mehr. Das ist für Jugendliche sehr belastend und führt oft auch zu Unverständnis. Besonders da sie viele dieser Dinge in ihrem Leben nicht nachholen können. Dabei wird sehr oft in ihren Augen etwas für „die Erwachsenen“ oder die Wirtschaft getan, Mittel für sie, um ihnen die Pandemie zu erleichtern, kommen aber nur langsam und zögerlich, oder auch gar nicht, z.B. Luftfilter in Schulen, bei ihnen an. Das nimmt Vertrauen in eine gleichgestellte Gesellschaft und mindert den Selbstwert. Dazu kommen viele Zukunftsängste die besonders Schulabgänger und Ausbildungssuchende betreffen, wie ob der Abschluss unter Pandemiebedingungen gleichwert ist. Im Allgemeinen kann ich sagen, dass Jugendliche sehr unter den Einschränkungen zu leiden haben und ihnen besonders in dieser prägenden Phase ihres Lebens soziale Kontakte und der Austausch untereinander fehlen.
Zahlreiche Einrichtungen wie z.B. das Hallenbad und die Sporthallen sind derzeit geschlossen oder nur unter Auflagen nutzbar. Die Sportangebote der Vereine reduziert. Der Outdoor-Sport ruht. Veranstaltungen finden kaum noch statt. Ist dieser Umstand auch hier zu spüren und wenn ja, wie sehr bist Du gefordert, den erzwungenen Bewegungsmangel zu kompensieren? Die Power der Kids in die richtigen Bahnen zu lenken.
Von Bewegungsmangel würde ich in erster Linie hier nicht sprechen. Die Jugend sucht sich auch ohne Vereine und Angebote Möglichkeiten sich zu bewegen. Viel schlimmer ist dabei der fehlende Sozialkontakt, die fehlende Anleitung und Sicherung und natürlich auch die Kommunikationsmöglichkeit. Hallenbäder, Vereine und andere Angebote sind ganz besonders auch Orte der Sozialisation, der Kommunikation, der Identitätsfindung, der Ort wo Selbstbewusstsein und eigene Wertigkeit entstehen und gefördert werden, wo Erfolgserlebnisse und Gemeinschaft stattfinden. Hier können Jugendliche sich in ihren Gruppen und unter Gleichgesinnten aufhalten, ihre eigenen Leistungen messen und erweitern und sich selbst entfalten. Dies fehlt natürlich und ist immer wieder auch im Jugendhaus Gesprächsthema. Das Jugendhaus und meine Arbeit können dies nur bedingt kompensieren, aber es ist ein wichtiger Anlaufpunkt für Jugendliche um ihre Sorgen, Wünsche, aber auch Ängste zu thematisieren und Lösungen zu erarbeiten.
Unabhängig von den neuen Räumlichkeiten. Zwei Jahre Leben im Krisenmodus. Besonders Kinder und Jugendliche leiden besonders unter den vorherrschenden Bedingungen. Bei vielen leidet die Psyche. Ist dieser Umstand auch hier spürbar? Und wenn ja, in welcher Form? Und schließlich, wie steuerst Du dagegen?
Der Krisenmodus ist schon fast Alltag für mich und viele Jugendliche. Besonders Unverständnis gegenüber der Bundes- und Landespolitik macht sich unter den Jugendlichen breit. Dazu kommen Ängste und Sorgen, die durch Medien gestreut und verstärkt werden. Viele Jugendliche mussten in diesen zwei Jahren eine regelrechte Isolation über sich ergehen lassen, da viele ihrer normalen Sozialstätten geschlossen wurden, z.B. Schulen, Freizeiteinrichtungen etc.. Auch die sehr mangelnde Digitalisierung in Deutschland erschwerte hier Kontaktmöglichkeiten und eine ansprechende, auffangende Weiterarbeit. Für viele Jugendliche sind dies zwei sehr einschneidende Jahre, die tiefe Spuren hinterlassen haben. Wie oben bereits gesagt, fehlen wichtige Erlebnisse, welche nie wiederkommen und dafür kommt ein Gefühl der Unsicherheit und der fehlenden Wertigkeit. Ich steuere hier mit meiner Arbeit dagegen an und versuche Räume und Möglichkeiten zu bieten sich zu treffen, etwas „Normalität“ zu erfahren, ein Gesprächspartner und Sicherheit und Zuversicht zu vermitteln. Dazu gab es z.B. im vergangen Winter die Notfallnummer der Jugendpflege, welche in der Zeit recht stark frequentiert wurde und natürlich die offenen Angebote des Jugendhaus.
Gibt es abschließend Deinerseits noch Wünsche oder Anregungen in Bezug auf Deine Arbeit hier im Jugendhaus? Oder für uns Außenstehende den einen oder anderen Tipp zum Umgang mit den jüngeren Jahrgängen?
Ich denke, mich begleitet der gleiche Wunsch, wie es auch die Jugendlichen betrifft, wieder mehr Freiheiten und Sicherheiten zu erleben und Jugendliche als wertige Mitglieder unserer Gesellschaft anzunehmen und sie auch so zu schätzen. Ich erlebe es oft das Jugendliche sehr schnell in Konflikt geraten und auf Unverständnis treffen, wenn sie sich wie „normale“ Jugendliche verhalten, wenn sie mal lauter sind, sich auf Spielplätzen oder an der Straße treffen, wenn sie offen feiern oder besonders jetzt in der Pandemie in Gruppen treffen. Hier vielleicht einmal sich selbst fragen, wie war es, als ich jugendlich war, wie habe ich die Dinge damals gesehen und wie hätte ich es mir gewünscht, dass jemand auf mich zugeht. Immer häufiger höre ich von Bereichen, in denen Kinder und Jugendliche nicht erwünscht sind oder es zu Konflikten kommt. Aber auch Kinder und Jugendliche gehören zu unserer Gesellschaft und sind ein sehr wichtiger Teil von ihr, genauso wie du und ich. Also gehört dazu auch genau so viel Akzeptanz, Toleranz und Mitgefühl, wie ich es mir für mich und mein Leben wünsche.
„Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wie viel er in sieben Jahren dazugelernt hatte.“
Mark Twain
Ich danke Dir für das offene, ehrliche aber auch ausgesprochen informative Gespräch. Gerne gebe ich den Inhalt an unsere Leser weiter.
Das Gespräch führte Jens Rauscher von der SG Weser-Aue, Foto SG