Film gibt Einblicke in tägliche Herausforderungen
Von Plänen, die im Krieg untergehen
Informativ, spannend und sehr bewegend war die Filmvorführung „Wir sind jetzt hier!“ Mitte Juni im Forum der vhs Nienburg. Ein buntes Publikum mit Fachkräften, Ehrenamtlichen, einigen unbegleiteten Minderjährigen und Interessierten war der Einladung des Landkreises gefolgt. Der Film selbst war emotional und die darauffolgende Diskussion angeregt und konstruktiv.
In dem Dokumentarfilm erzählen sieben junge Männer, die alleine nach Deutschland gekommen sind, vom Ankommen in Deutschland, von ihrer Flucht und wie eine gelungene Integration funktionieren kann. Die Filmemachenden Ronja und Niklas von Wurmb-Seibel hatten 2014 für ein Jahr in Kabul gelebt. 2021 war daraufhin mit Förderung der Friedrich-Ebert-Stiftung ihr Film „Wir sind jetzt hier!“ entstanden. „Ich bin dankbar für diesen Film, denn in den Jahren 2015 – 2017 wurde vielfach negativ über die Gruppe der geflüchteten jungen Männer berichtet. Dieser Film hat ihnen ein Gesicht gegeben“, sagt Kathrin Woltert, Sozialdezernentin beim Landkreis Nienburg. An Bedeutung habe der Film auch Jahre später nicht verloren. „Weiterhin sind täglich besonders junge Männer auf der Flucht und müssen aller Wahrscheinlichkeit nach mit denselben Herausforderungen kämpfen, von denen wir als Zuschauer dieser Dokumentation nun einen besseren Eindruck haben.“
Als besondere Herausforderungen haben die sieben Männer die Bürokratie im Gastland erlebt, die damit verbundenen langen Warteprozesse aber auch die Schwierigkeit, die deutsche Sprache zu erlernen. Ein junger Mann erwähnt, dass die Anfänge beim Erlernen der Sprache für ihn unglaublich schwierig gewesen seien: „ Deutsch ist eine sehr trockenen Sprache. Am Anfang musste ich nach jedem Wort einen Schluck Wasser trinken“. Ein junger Mann aus Afghanistan erzählt im Film, wie sehr er darüber irritiert war, dass die Menschen in Deutschland so wenig lächeln und sich fast erschrecken, wenn sie auf der Straße von ihm gegrüßt werden. Erfahren konnte das Publikum an diesem Abend auch wie endlos lange der Prozess der Anerkennung im Rahmen eines Asylantrages dauern kann. Zum Teil mussten die Betroffenen mehr als drei Jahre auf eine Bestätigung vom BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) warten. Zeit, in der sie nicht arbeiten, sondern nur warten konnten. Alle Männer berichten, dass sie täglich mehrmals zum Briefkasten gingen und das nach wie vor so machten, um keinesfalls wichtige Post oder behördliche Termine zu verpassen.
Der anwesende Protagonist Hussein Al Ibrahim erzählte im Anschluss an den Film auch von seinen aktuellen Erfahrungen. Trotz seines gesicherten beruflichen Werdegangs, er macht eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten bei einer Gemeinde in Niedersachsen, und seiner sehr guten Sprachkenntnisse habe er noch immer mit negativen Reaktionen zu kämpfen. „Und das allein aufgrund meines Nachnamens.“ Demgegenüber betonte eine Zuschauerin, dass das Zusammenleben doch viel einfacher und leichtert wäre, wenn man seinem Gegenüber mit einem Lächeln begegnen würde und plädierte für eine offene Grundhaltung.
Bei der anregenden Diskussion kam unter anderem die Frage auf, warum ein Film über Männer und nicht über Frauen gedreht wurde. „Wir haben uns bewusst für Männer und zwar für positive Beispiele entschieden, insbesondere weil in der Presse und den Medien immer nur negative Beispiele über sie auftauchten“, so Niklas von Wurmb-Seibel. „Was uns außerdem wichtig war: Wir bleiben nicht bei der Erzählung von Hürden und Problemen stehen, sondern im Film wird sichtbar, wie die Protagonisten die vielen Hürden auf ihrem Weg überwinden. Diese konstruktive Erzählhaltung finden wir wichtig, damit wir als Gesellschaft weg kommen von langweiligen Vorurteilen.“
Nach seinen eigenen, besonders emotionalen Erfahrungen beim Drehen gefragt, antwortete von Wurmb-Seibel: „Ganz sicher gehört die Szene dazu, in der Hasib eine dreitägige Waffenruhe in Afghanistan beschreibt und wie aufgeregt er war. Er hat sofort Pläne gemacht und Träume geträumt, was er in Kabul machen kann, wenn er seine Ausbildung abgeschlossen hat. Nach drei Tagen ging der Krieg jedoch weiter und alle waren desillusioniert. – Mit Azim waren wir am Flughafen als er seine Familie endlich wiedergesehen hat. Ich habe mit dem Handy gedreht und die ganze Zeit geheult. Darum wackelt das im Film so.“
Die Filmvorführung hat auf Initiative der Koordinierungsstelle Migration und Teilhabe beim Landkreis Nienburg und in Kooperation mit „Spielfeld Gesellschaft“, einer Initiative der Niedersächsischen Lotto-Sport-Stiftung für gesellschaftlichen Zusammenhalt, stattgefunden. Veranstaltungen der Koordinierungsstelle Migration und Teilhabe werden gefördert durch das Nds. Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung.