Flucht, Angriff oder Erstarren – Vom Umgang mit den Urinstinkten
Workshop gegen Rassismus und Vorurteile an den BBS
Taucht ein massives Problem im Umgang von Menschen miteinander auf, melden sich oft die Urinstinkte: die einen ziehen sich zurück, andere reagieren mit Aggressionen, manche erstarren vor Schreck. „Stattdessen können Menschen aber auch in Kontakt gehen und miteinander kommunizieren. Aber das braucht Mut“, sagt Referent Chadi Bahouth.
An den Berufsbildenden Schulen (BBS) Nienburg hat im Rahmen der „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ ein zweitägiger Workshop für angehende sozialpädagogische Assistentinnen und –assistenten stattgefunden. Darin ging es um Alltagsrassismus und Formen der Auseinandersetzung in problematischen Situationen. Für das Angebot hatte sich auf Initiative von Carmen Prummer von der Koordinierungsstelle Migration und Teilhabe des Landkreises Nienburg die Schulsozialarbeiterin Birgit Krämer stark gemacht. Als Referent konnte Chadi Bahouth gewonnen werden. Seit 15 Jahren bietet er Veranstaltungen für junge Menschen und Erwachsene unter anderem zum Thema „Integration durch Vielfalt“ an und sieht dabei seine Rolle so: „Ein selbstbewusster Mensch sagt, was er möchte. Meine Rolle ist es, die jungen Leute dabei zu unterstützen, dass sie sich selbst dazu befähigen.“
Was ist Rassismus und wie sehen gesellschaftlicher, struktureller, institutioneller oder persönlich verinnerlichter Rassismus aus?
Wer denkt und handelt rassistisch und wie zeigt sich eigenes rassistisches Verhalten? Auf das eigene vorurteilsbelastete Denken wurden die jungen Leute gleich zu Beginn mit der Nase gestoßen. Der Referent hatte sich zunächst unter die Gruppe gemischt und damit ziemlich irritiert. „Was macht der da? Ist das der Vater von jemandem? – Wir haben ihn gleich irgendwie verurteilt“, sagt Lukas später, einer der Teilnehmenden. Stattdessen stellt sich der Unbekannte mit erkennbarer Migrationsgeschichte nach kurzer Zeit als Experte vor. „Mit einem krassem Wissen“, auch das bescheinigt Lukas ihm im Nachhinein, „und als jemand, der sich mit anderen Wurzeln so krass integriert hat.“
Für manche war es der erste Workshop und auch deshalb ein sehr intensives Erlebnis. „Ich fand die beiden Tage echt anstrengend. Aber ich habe einen komplett anderen Einblick bekommen“, sagt die 17jährige Josefine. Über die verschiedenen Stufen von Rassismus habe sie zuvor nichts gewusst. Jetzt achte sie immer wieder darauf, wie Menschen sich verhalten und wie sie sprechen. „Viele sagen zum Beispiel „Ich bin kein Rassist, aber…“, und das kann schon direkt unbewusster Rassismus sein.“
Auch Fabian möchte etwas zu seinen Eindrücken sagen.
„Ich finde, man hat Vieles erfahren. Auch was das eigene Verhalten angeht. Und wir haben unsere Vorurteile hinterfragt.“ Besonders zwei Dinge habe er von der Veranstaltung mitgenommen: „Wie sehr unser Denken von bewussten Vorurteilen geprägt ist, also davon, wie die Kleidung oder die Frisur von jemandem aussieht. Und cool ist, dass ich definitiv mitnehmen konnte, wie ich auf Konfliktsituationen reagiere. Nämlich, nicht mit Aggression auf eine Provokation einzugehen, sondern eine Frage zu stellen und so ins Gespräch zu kommen. Und als Außenstehender greife ich am besten als dritte Person, quasi als Beobachter, ein und ergreife keine Partei. Und dabei gilt immer: Sicherheit vor Hilfe.“ Aus der eigenen Komfortzone rauskommen, Selbst- und Fremdschutz sind die passenden Stichpunkte aus dem Inhalt des Workshops dazu.
In einem Rollenspiel konnten die jungen Leute nachempfinden, wie es ist, von einer Gruppe abgelehnt zu werden. Das Gefühlt, sich verbal oder durch Körperhaltung abgelehnt zu fühlen, hat bei den Beteiligten starke Emotionen hervorgerufen. Diejenigen, die das miterlebt haben, haben in einer zweiten Runde von der Gruppe ausschließlich positives Feedback bekommen und auf Wunsch auch eine Umarmung. „Aber nur so lange, wie es dem eigenen Bedürfnis entsprach“, sagt Chadi Bahouth. Damit ging es in der Veranstaltung neben sogenanntem Ingroup/Outgroup Verhalten auch um Stoppregeln und Abgrenzung und darum zu lernen, Grenzen zu erkennen, einzuhalten und die Einhaltung von anderen einzufordern.
„In meiner Klasse gibt es Jugendliche mit sechs verschiedenen Migrationshintergründen.
Und es werden neun Sprachen gesprochen“, erzählt Klassenlehrerin Rebecca Albers-Rümmele. Genau wie in der Gesellschaft draußen sei es hier wichtig, offen für Pluralität zu sein und Wertvorstellungen im kulturellen Kontext zu sehen, eventuell falsche Werte zu erkennen und aufzulösen. Bei ihrer Klasse sei ganz deutlich zu merken, wie diese reflektorischen Gedanken zusammen mit den anderen Inhalten des Workshops auf fruchtbaren Boden gefallen seien. „Was bei den Schülerinnen und Schülern damit ausgelöst wurde, hat mich sehr berührt. Das ist mehr Wert als so einiges, worum wir uns in all den Schuljahren bemühen.“ Carmen Prummer ist als Initiatorin des Angebotes ebenfalls überzeugter Fan, auch deshalb, weil die drei vorangegangenen Workshops an Allgemeinbildenden Schulen genauso begeistert aufgenommen wurden. Von ihr kam der Impuls, eine solche Veranstaltung auch an einer Berufsschule stattfinden zu lassen. „Die Schülerinnen und Schüler der BBS gehören zu den künftigen Fachkräften und konnten in diesen beiden Tagen ungeheuer viel für ihre spätere Arbeit in unserer Einwanderungsgesellschaft mitnehmen.“
Bleibt noch Lukas´ Feedback.
Für ihn war es der erste Workshop und er fand ihn nicht nur interessant, sondern auch extrem gut für die Klassengemeinschaft. Er erklärt, dass das Thema für ihn persönlich wichtig sei und er es cool finde, darüber zu reden, auch weil seine Eltern aus Russland kämen. „Wir Menschen denken zu schnell in Vorurteilen. Wir müssen lernen, damit umzugehen“, sagt er. Besonders beeindruckt hat ihn das schon erwähnte Rollenspiel, in dem die Klasse als Gruppe jemanden ablehnen sollte. „Hier sollte man fühlen, wie das ist. – Und merken, wo die persönliche Grenze liegt.“ Wenn es nach ihm ginge, hätten am besten alle an der Schule die Möglichkeit, an genau diesem Workshop teilzunehmen. „Die Eindrücke und Erfahrungen würden jede Klasse voranbringen.“
Chadi Bahouth ist promovierter Politologe, Journalist, Trainer, Coach und Dozent für politische Themen. In Abstimmung mit der Schulsozialarbeiterin Birgit Krämer und Carmen Prummer hat er sein Konzept für den Workshop an den BBS Nienburg konzipiert. Veranstaltungen der Koordinierungsstelle Migration und Teilhabe werden gefördert durch das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung.
Fotos und Bericht LK Nienburg