160 Katzen wohnen derzeit im Tierheim
Schessinghausen hat finanzielle Planungssicherheit, aber trotzdem oft Probleme mit Zweibeinern
Nein, ein Tierheim zu führen ist in Zeiten von Corona nicht leichter geworden. Im Gegenteil. Die ersten elf Monate des Jahres 2021 waren für Jessica Krallmann und ihr Team in Schessinghausen niemals langweilig, sondern durchweg herausfordernd, nicht selten nervenaufreibend, aber – gottlob – niemals entmutigend.
Die aktuelle Standmitteilung aus dem Schessinghäuser Tierheim lässt sich wie folgt zusammenfassen: Verschiedene bauliche Maßnahmen wurden vorgenomme, weitere bauliche Maßnahmen müssten vorgenommen werden, die Stimmung im Mitarbeiter-Team ist trotz immensen Arbeitsaufkommens während der Lockdowns ungetrübt, und immer wieder machen Krallmann & Co. die Erfahrung, dass Zweibeiner mehr Mühe machen als Vierbeiner.
Vor allem die Lockdown-Phasen der Pandemie haben die Mitarbeitenden an ihre Grenzen geführt. Arbeit, die bis dahin von vier hauptamtlichen und mehreren ehrenamtlichen Kräften erledigt wurden, musste plötzlich von nur noch zwei Personen übernommen werden. Jessica Krallmann, Yvonne Rohde, Yvonne Cohrs und Ines Schlapbach haben in Zweierteams abwechselnd gearbeitet, um im Quarantänefall nicht komplett auszufallen; Ehrenamtliche mussten pausieren. „Aufwand und Intensität waren auch deshalb deutlich höher, weil plötzlich ganz andere Hygienemaßnahmen umgesetzt werden mussten und auch die Verwaltung deutlich zunahm“, erzählt Krallmann. Und das in einem Haus, in dem seit jeher ohnehin jeder Pfennig zweimal umgedreht werden muss.
Immerhin: Seit Anfang 2020 hat das Heim zumindest finanziell größere Planungssicherheit. Seitdem haben sechs von neun Kommunen ihre Zusammenarbeit mit Schessinghausen erklärt: Steyerberg, Uchte, Stadt Nienburg, Weser-Aue, Rehburg-Loccum und Mittelweser. Und wo früher eine Pauschale pro Fundtier gezahlt wurde, gilt jetzt die jeweilige Einwohnerpauschale. Das hat für eine Grundsicherheit gesorgt. Krallmann: „Es ist gar nicht lange her, da wussten wir nicht, ob wir am nächsten Tag noch einen Job haben.“ Kollegin Yvonne Rohde flachst: „Jetzt können wir auch mal eine neue Schraube statt einer alten verwenden.“
Die größten Sorgen sind einer zarten Aufbruchstimmung gewichen. Denn: Baulich ist bereits einiges passiert. Viele Fenster wurden ersetzt, die Sanierung des Hundehauses mit sechs nunmehr isolierten und beheizten Hundeboxen ist abgeschlossen. Und auch der Quarantänebereich für die Katzen ist weitgehend fertig, kann demnächst vom Bauamt abgenommen und für den Betrieb freigegeben werden. Wichtig, um Krankheiten wie Katzenschnupfen oder die noch gefährlichere Katzenseuche nicht ins komplette Heim einzuschleppen. Zur Erinnerung: Der alte Quarantänebereich maß zwölf Quadratmeter mit acht Plätzen, künftig stehen 80 Quadratmeter mit bis zu 50 Plätzen zur Verfügung. Eine zwingend notwendige Maßnahme angesichts der Tatsache, dass aktuell 160 Katzen im Schessinghäuser Tierheim wohnen.
Die jüngsten Maßnahmen entkrampfen die Platznot, optimieren könnte sie ein weiterer Schritt: der Umbau der benachbarten und bisher unausgebauten Scheune auf dem Gelände des Tierheims. Rund 150 Quadratmeter Grundfläche verstecken sich hier, die weiter Druck vom Kessel nehmen könnten – weiteres Personal vorausgesetzt. Vergleichsweise bescheiden kommt ein weiterer Wunsch nach neuen, nach robusten Küchenmöbeln daher.
Ein drittes Anliegen ist nicht materieller, sondern sozialer Natur. Und es betrifft nicht das Tier, sondern den Menschen. Denn viele dieser Spezies kosten Krallmann und ihre Mitstreiter viele Nerven.
Auch in Schessinghausen ist der Trend spürbar, dass im Laufe der Coronaphase die Nachfrage nach süßen Haustieren deutlich gestiegen ist. 2020 wurden im Vergleich zu den Vorjahren 20 Prozent mehr Hunde gekauft, bestätigt der Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH). In vielen Fällen ist die Liebe schnell wieder erloschen ist. Krallmann: „Es ist unglaublich, wie viele gepflegte Tiere hier abgegeben werden – die vermisst niemand!“ Rohde berichtet von einem weiteren Phänomen: „Man hat uns gefragt, ob man sich bei uns für einen längeren Zeitraum mal ein Tier ausleihen könnte. Das sind aber keine Spielzeuge. Ein Tier ist keine Spaßveranstaltung.“
Weitere Erkenntnis der jüngeren Vergangenheit: Andauernd klingelt das Telefon, Leute geben Hinweise auf vermeintlich herrenlose Vierbeiner. „Wenn eine gesund aussehende Katze die Gegend erkundet“, sagt Jessica Krallmann, „muss das nicht bedeuten, dass sie nicht irgendwo hingehört oder sie Hilfe benötigt.“ Und mahnt, solche Tiere keinesfalls zu füttern; das könnte Tiere immer wieder anlocken. Krallmann fasst ihre Gedankenlage in einem Appell zusammen: „Wir helfen, wo Hilfe nötig ist. Aber wir sind nicht hier, um es jedem rechtzumachen, sondern, um es den Tieren rechtzumachen. Wir reißen hier Überstunden, stehen ständig parat. Tierheimarbeit ist kein Katzenkuscheln. Wir können keine Abgabetiere aufnehmen, sondern nur Fundtiere. Wir sind keine Tierpension. Ein Tier ist keine Anschaffung für vorübergehend, sondern für ein komplettes Tierleben.“
Glücklicherweise gibt es auch Mitmenschen, die Krallmanns Stimmung wieder heben. Die Arbeit mache Spaß, sie sei trotz aller Widrigkeiten Herzenssache. „Unsere Mitarbeiter und Ehrenamtlichen sind sensationell – ein besseres Team kann man sich nicht wünschen.“ Krallmann erwähnt in dem Zuge auch die Mitarbeitenden in den Kommunen und Institutionen: „Die Zusammenarbeit mit den Gemeinden läuft fantastisch, und es gibt ein Super-Vertrauensverhältnis zum Veterinäramt.“
So alt wie das Tierheim ist schlussendlich auch die Bitte um Spenden. Der Tierschutzverein Nienburg als Träger hat Corona deutlich zu spüren bekommen, „die Spenden sind seit zwei Jahren um 90 Prozent eingebrochen“. Doch immer mehr Tiere bedeuten immer mehr Kosten für Unterkunft, für Spezialfutter, für medizinische Maßnahmen und auch für Abfallentsorgung.
Aus DIE HARKE